Karl-Heinz Kleinschmidt, 61 Jahre

 

Ich bin 1953 in Bielefeld geboren. Ich hatte Agoraphobie und zwei Schlaganfälle.

Meine Mutter war schwer alkoholkrank. Wir haben uns beide gegenseitig gekloppt. Viele sagen: "Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren". Ich habe das so geändert: "Aber wenn sie dich schlagen, dann musst du dich wehren." Früher war ich auch Alkoholiker. Zu Entwöhnung war ich in einer Suchtklinik, im Kepinski-Haus in Eckardtsheim.

Ich hab einen ganz normalen Hauptschulabschluss und ohne Probleme eine Lehrstelle gekriegt. Als junger Mann hab ich dreieinhalb Jahre Kfz-Mecha-

niker gelernt.

Auf einem Auge bin ich fast blind. Trotzdem war ich für die Bundeswehr tauglich, weil sie Leute brauchten, es war ein schlechter Jahrgang. Nachdem ich in Koblenz im Bundeswehrkrankenhaus war wegen meinem Auge, wurde ich als untauglich eingestuft. Bis meine Umschulung zum Landschaftsgärtner genehmigt wurde, arbeitet ich als Hilfshandwerker. Mindestens zehn oder elf verschiedene Tätigkeiten habe ich gemacht. Ich war auch bei Kochs & Adler im Werkzeuglager, die waren hinter dem Bahnhof, dort wo heute die Kinos sind. Ich Trottel habe da aufgehört. Dort habe ich den Mann meiner Quasifamilie kennengelernt, 1973 war das. In Bethel wurde ich dann zum Landschaftsgärtner umgeschult, bin aber nicht fest eingestellt worden. Die brauchten mir nicht mal Lehrlingsgehalt zu zahlen, ich war für die eine billige Arbeitskraft, die sie nach der Ausbildung loswerden wollten. Hab dann so dies & das gemacht. Wo ich mal entlassen wurde, fing ich nicht wieder an, bin ich viel zu stolz zu. Bei Motobécane hab ich auch gearbeitet und konnte mir für ein Drittel unter Normalpreis eine Moto Guzzi kaufen. Zuletzt arbeitete ich als Kesselwärter im Krankenhaus Rosenhöhe. Dort im Heizungskeller oder im Rohrkanal hatte ich meine Ruhe. 18 Jahre habe ich da gearbeitet.Jetzt lebe ich in Brackwede im Unterstützten Wohnen und bekomme Erwerbsminderungsrente. Außerdem bin ich Mitglied bei den Linken ich war ja mein ganzes Leben lang Arbeiter!

 

 

Meine Texte:

 

Bielefeld aus der Sicht eines Mannes mit Agoraphobie

 

Ich habe Platzangst. Angst vor großen Plätzen. Zum Beispiel vor dem Jahnplatz. Ich konnte früher auch nicht mehr einkaufen in großen Supermärkten. Ich hatte deshalb dann auch die Gesellschaft für Sozialarbeit bei mir zuhause. Wenn zu viel Menschen  da sind und ich kann nicht in die Richtung gehen, wo ich hin will, zum Beispiel bei Demonstrationen, das geht gar nicht. Ich muss schon den Weg selber entscheiden können.

 

Bielefeld hat den Vorteil, es ist am Teutoburger Wald. Da gehe ich gerne durch spazieren, da habe ich auch nachts manchmal geschlafen. Im Wald fühle ich mich sicher. Meyerwald und Heeper Fichten gingen auch noch. Meyer zu Heepen und Meyer zu Eissen.

In der Ziegelstraße, wo ich gewohnt habe, war es ganz normal, da habe ich keine Angst gehabt. Wir hatten auch 'nen großen Spielplatz hinterm Haus, da hatte ich auch keine Angst. Der Schulweg und der Weg zum Konfiunterricht, das ging.

Wohl fühl ich mich auch im Bürgerpark oder Oetkerpark, das ist ein und derselbe. Oder oben im Botanischen Garten, da war ich auch schon mal mit 'ner Frau von hier spazieren. Früher, als Gärtner, hab ich da oben Pflanzennamen gelernt.

Was mir früher auch sehr gefallen hat, wo wir auch hoch gegangen sind, ist das Viadukt. Da war der See noch nicht da. Der ist erst erheblich später gekommen.

Nordpark ist auch ein schöner großer Park, wo ich mich wohlfühle. Und in Olderdissen. Und auf der Ochsenheide. Alles, was mit dem Teutoburger Wald verbunden ist.

Der Niederwall ist zum flanieren auch schön, links die kleine Straße entlang des Grünstreifens, da kann man sich auch gut hinsetzen. Parks haben wir auch genug. Die Grünanlagen sind schon ganz schön.

 

Bielefeld ist zwar von seinen Einwohnern her eine Großstadt, aber von seiner Mentalität, wie es sich verhält, ein Dorf. Früher war Bielefeld erheblich kleiner. Dann kam die Verordnung, dass einige umliegende Käffer zur Stadt gehören. Heepen zum Beispiel oder Sennestadt. Das war früher, wie der Name schon sagt, eine Stadt. Das hat Bielefeld auch nicht gut getan. Manchmal finde ich, funktioniert das nicht richtig. Die Verwaltung, vor allem die Behörden, Sozialamt und so weiter. Da ist Bielefeld sowieso nicht so gut in Sozialsachen. Manchmal ist das Sozialamt zu merkwürdig. Die Leistungen sind auch manchmal nicht gut. Was ich gut finde ist mein Schwerbehindertenausweis mit Sozialticket für Bus und Bahn. Bus und Bahn fahren kann ich wieder. Früher hatte ich Angst vor öffentlichen Verkehrsmitteln. Ein ganz bisschen auch jetzt noch manchmal. Aber eine Angst muss man überwinden. Wenn man einer Angst zu sehr nachgibt, wird sie schlimmer. In Gilead III hat man dass meiste dazu beigefügt, dass ich die Angst zu großen Teilen überwunden habe. In der Therapie habe ich das alles geübt: Bahnfahren, einkaufen und so.

Negativ in Bielefeld sind natürlich auch manche Wohngegenden, Baumheide und Stapelbrede und Klein-Korea. Links neben der Osningstraße ist das, rechts wohnen die Reichen.

 

 

Ein paar Tipps für die Bielefelder:

 

1. Wenn irgendwie Probleme sind, muss man versuchen, das richtige Amt zu finden. Zum Beispiel wenn man keine Wohnung hat, das Wohnungsbauamt. Oder wenn man Mist gemacht hat, dann sollte man einen gesetzlichen Betreuer verlangen. Oder wenn man zu wenig Geld hat, sollte man zum Sozialamt gehen. Und zum Arbeitsamt, wenn man keine Arbeit hat.

2. Man sollte die schönen Sachen in Bielefeld ausnutzen: in die Freibäder gehen oder die Hallenbäder. Wenn einem das gefällt auch ins Theater und zu diesen Festen in der Altstadt, Leineweber zum Beispiel. Oder in Sportvereine gehen, die gibt es auch reichlich. Oder wenn einem Fußball gefällt in die Schüco-Arena und dem schönen Klang in der Oetkerhalle lauschen. Und die Museen auch, Kunsthalle zum Beispiel.

3. Wichtig ist einen Beruf lernen oder eine gute Ausbildung mit Schule und so weiter. Die Schulen in Bielefeld nutzen, egal welche. Entweder ne Hauptschule (die gibt's ja nicht mehr so), oder mittlere Reife oder Abitur machen. Und die Uni, die ist auch nicht schlecht.

4. Man sollte sich auch ein bisschen sozial engagieren. Wenn da einer Hilfe braucht und man kann das, den dann auch unterstützen.

5. Man darf einer Angst nicht zu sehr nachgeben, dann wird sie schlimmer. Eine Angst muss man überwinden.