Reinhard Hermann Oebike, 86 Jahre
Ich wurde 1927 in Dortmund geboren, verbrachte aber meine Kindheit und einen Teil meiner Jugend in Bochum. Gern sage ich heute noch mit 86 Jahren: "Ich bin ein Bochumer Junge". Nach einer grausamen Kriegsgefangenschaft und dem Abitur im Juni 1947 studierte ich in Nürnberg Wirtschaftswissenschaften und auch Amerikanistik und 1950/51 ein Jahr in Tucson/Arizona/USA. Ich machte mein Referendariat in München, danach arbeitete ich bei den Eisenwerken Gelsenkirchen. Im Jahr 1964 wurde ich für die bundesdeutsche Entwicklungshilfe in Tansania und anschließend für drei Jahre als Leiter der Industrie- fachschule in Kabul, Afghanistan beurlaubt. Viele weitere Tätigkeiten im In- und Ausland folgten. Meine Frau war immer dabei. Von 1979 bis zu meiner Pensionierung war ich als Oberstudiendirektor am Rudolf-Rempel Berufskolleg in Bielefeld leitend tätig. Meine Frau und ich arbeiteten für „Frieden durch Verständigung". Im Jahr 1988 erhielt ich vom Bundespräsidenten von Weizsäcker das Bundesverdienstkreuz verliehen. 1989 ging ich aus gesundheitlichen Gründen in Pension. Anfang 2013 erlitt ich einen Schlaganfall und lag anschließend wochenlang im Koma. Jetzt bin ich mit meiner guten Frau Lieselotte im Johann-Heermann-Haus untergebracht und verbringe hier meine restlichen Tage, Wochen oder vielleicht noch Monate.
Aus meiner Lebenserfahrungen erwachsene Weisheiten und Ratschläge
1. Behandle die anderen Menschen so, wie Du behandelt werden willst.
Mit dieser Einstellung sind wir, meine Frau Lieselotte und ich, gut in Tansania und Afghanistan zurechtgekommen. Es hat nie Schwierigkeiten mit den erwachsenen Schülern oder mit Einheimischen gegeben.
2. Man sollte sein Leben, auch seine Ehe, unter Werte stellen.
Für meine Frau und mich war das "Frieden durch Verständigung"
Meine Frau hat schreckliche Erfahrungen als Heimatvertriebene aus Possen (das ist heute polnisch) gemacht, ich als Kriegsgefangener. Man muss alles tun, damit sich solche Verhaltensweisen, wie wir sie als Kinder, Jugendliche, Erwachsene erlebt haben nicht wieder ereignen. Nicht für uns, nicht für unsere Kinder, nicht für die Menschen in Deutschland und vielleicht sogar auch darüber hinaus.
3. Man sollte niemals verallgemeinern.
Nicht auf Nationalitäten bezogen, nicht auf Religionszugehörigkeit bezogen. Man sollte immer den einzelnen Menschen sehen. Bis heute berührt mich die Erfahrung mit der Jüdin Ilse Stanley, die ich in USA kennenlernte, zutiefst. Sie hat mir vergeben.
4. Vergiss die Religion nicht.
Sie ist wichtig für das Zusammenleben und für die Achtung vor den anderen Menschen. Nach dieser schrecklichen Erfahrungen im Krieg und nach Kriegsende, war es für uns wichtig, uns auf Verständigung zu konzentrieren. Wichtig, um alles zu verarbeiten, war es auch, Freunde zu haben und neue Freunde zu gewinnen, die mir dabei geholfen haben, den Weg der Versöhnung zu betreten und auf ihm zu bleiben. So bin ich an der Summe der grausamen Erfahrungen selbst gewachsen.
Ja, das Wichtigste in meinem Leben ist, dass ich Probleme, die darin aufgetreten sind - und es waren zu langen Zeiten grausame und sehr viele und schwere Probleme - dass ich sie ohne bleibende Verletzungen überstanden habe.
Meine Frau Lieselotte hat mir dabei am meisten geholfen. Fast 59 Jahre sind wir beide verheiratet. Sie lebt hier im selben Heim wie auch, zwei Stockwerke höher. Sie hat Demenz. Jeden Tag sehen wir uns mehrere Stunden. Ich lasse sie nicht alleine.